Warum werden Menschen psychisch krank? Wie können wir Angehörige einer psychisch kranken Person unterstützen? Inwiefern können psychiatrische Einrichtungen und Psychopharmaka die Genesung unterstützen?
Ihr erkrankt auf der körperlichen, mentalen oder emotionalen Ebene. Und jeder Mensch hat seinen präferierten Bereich. Dieser ist beeinflusst durch die Seele, eure Persönlichkeit und euer Umfeld. Diese Präferenz zeigt sich bereits in alltäglichen Problemen. Der eine reagiert auf eine schwierige Situation vorwiegend mit körperlichen, die andere mit emotionalen und einige mit mentalen Symptomen. Der Schmerz ist in seiner Intensität derselbe.
Die mentale Präferenz zeigt sich durch endlose Gedankenschleifen und möglicherweise in Schlaflosigkeit. Sie erzeugt Reue und Scham, Gedanken wie «hätte ich doch/hätte ich doch nicht» und kann in tiefe und auffällige Desorientierung münden. Die Gedanken können den Verstand derart verwirren, dass der Mensch im schlimmsten Fall die Realität nicht mehr klar erkennen kann. Bei sehr stark spirituell ausgerichteten Menschen kann es vorkommen, dass die materielle Existenz abgelehnt wird und alles Denken sich um das Geistige dreht, was zu Abgehobenheit führt, zu einem Fokus, der nicht auf das Hier und somit auch nicht auf das von der Seele gewünschte menschliche Leben gerichtet ist.
Die körperliche Präferenz spiegelt die Probleme in Erkrankungen. Disharmonische Situationen münden in Kopfschmerzen oder andere Symptome, und mit der Zeit kann es sein, dass diese sich verstärken und immer mehr anhäufen bis zur chronischen Erkrankung oder solchen, die nicht auf übliche Weise diagnostiziert werden können. Deshalb ist auch nicht jede Krankheit ein psychosomatisches Problem, sondern vielmehr oft Ausdruck der Präferenz.
Je nach gesellschaftlicher und kultureller Situation werden mentale und körperliche Probleme eher oder weniger akzeptiert. In Ländern, in denen Intelligenz und optimierte Körper zielgebend sind, erfahren diese beiden Gruppierungen wenig Empathie. In Ländern, in denen Familie und Gemeinschaft das Wichtigste sind, werden diese Menschen meist besser eingebunden und akzeptiert.
Allen Ländern ist jedoch gemeinsam, dass emotionale Erkrankungen die grösste Herausforderung bilden. Emotionen stehen in der Mitte der beiden Präferenzen, denn das Gedankliche wie das Körperliche lösen Gefühle aus, fliessen in die Psyche. Ihr könnt körperliche Schmerzen erleiden und doch auf der Gedankenebene nichts wahrnehmen. Ihr könnt euch gedanklich verloren fühlen und trotzdem keine Schmerzen im Körper haben. Aber Emotionen könnt ihr langfristig nicht ausblenden. Die Psyche nimmt die gedankliche und körperliche Information auf. Erkrankt sie, so erkrankt ein viel tieferer Teil eures Systems, als dies Geist und Körper darstellen.
Psychische Erkrankungen werden besonders in hochtechnisierten Ländern einerseits sehr ernst genommen, andererseits gerade dadurch auch hervorgerufen oder fälschlicherweise so betitelt. Viele der Betroffenen sind nicht psychisch krank, sondern «anders» und weniger angepasst an die Gesellschaft. Viele sind jedoch auch nicht «traumatisiert», sondern erleben einen natürlichen schmerzvollen Lernprozess, der nichts mit einem fachbezogenen psychischen Trauma zu tun hat.
Aber selbstverständlich gibt es psychisch erkrankte Menschen, und darauf wollen wir nun eingehen:
Ein psychisch erkrankter Mensch leidet, mit wenigen Ausnahmen wie z.B. Narzissmus, Psychopathie etc. an sich selbst. Seine Gefühlswelt hat die Kontrolle übernommen und er fühlt sich hilflos und ausgeliefert in die Ohnmacht. Er braucht vor allem Zeit, um das Vertrauen in die innere Stärke wieder zu finden. Dies gelingt nicht durch den Willen, nicht durch das Handeln, sondern dadurch, dass der Schmerz mit professioneller Hilfe durchschritten wird.
Manchmal steht den mitleidenden Angehörigen gerade ihre Liebe im Wege. Es ist optimal, richtig und wichtig, dass Nahestehende einen psychisch erkrankten Menschen lieben und unterstützen dadurch, dass sie zuhören, mittragen und entlasten. Ebenso wichtig ist es jedoch, immer wieder innezuhalten und den liebenden Blick in einen analytisch-neutralen Blick zu wandeln. Während ihr nahe seid in Liebe, ist es euch schier unmöglich, die Grenze eurer Unterstützung zu erkennen. Wenn ihr zu nahe seid, geschieht es auch häufig, dass ihr das, was euch selbst in dieser vorgestellten Situation guttun würde, aus verzweifelter Liebe über den anderen stülpt. Doch was für euer System stimmt, ist für ein anderes System irrelevant.
Mitgefühl kann zudem leicht in Mitleiden und Mitleid für die Erkrankten münden und diese noch mehr schwächen. Zu viel Entlastung und Mittragen kann euch selbst entleeren und die scheinbar beschenkte Person innerlich entmündigen. Wie gesagt, der Heilungsprozess geht dahin, die eigene Stärke, Hoffnung und Kraft wiederzuentdecken.
Aber lasst euch nun nicht ängstigen, ob unseren klaren Worten. Wenn ihr als Nahestehende nach innen hört und fühlt, werdet ihr diese Grenze klar erkennen. Das versichern wir euch deutlich.
Erst liebt, unterstützt ihr und tragt mit. Irgendwann erreicht ihr den Punkt, wo ihr wahrnehmt, dass alles nur kurze Zeit anhält, ihr immer öfter zweifelt, ob eure Hilfe hilft. Ihr spürt, wie sich die Energie des «Tatendrangs» verringert und ihr im Gegensatz dazu immer öfter die eigene Erschöpfung spürt. Nun ist es Zeit für den nächsten Schritt und dafür, die Unterstützung in professionelle Hände zu geben.
Bei der Wahl eines Psychologen sind nicht nur die fachlichen Qualitäten, sondern vor allem ausschlaggebend, ob der erkrankte Mensch sich verstanden, getragen und wohl fühlt. Ist dies der Fall, so dürft ihr der Einschätzungen eures geliebten Menschen vertrauen. Auch dann, wenn er euch aus den Therapiestunden erzählt und ihr das nicht als optimal einschätzt. Selbstverständlich gibt es Fachleute, die ihre Arbeit nicht gut machen. Ihr dürft achtsam sein. Tatsächlich ist es aber auch so, dass jeder Mensch, ob erkrankt oder nicht, beim Nacherzählen eines Gesprächs die Fakten in eine eigene Erzählung umbettet. Wir sprechen nicht von Lügen. Wir sprechen davon, dass ihr immer nur das aufnehmen und verarbeiten könnt, was gerade möglich ist für euer inneres System. Alles andere wird umgefärbt erzählt, ausgelassen oder nicht erinnert.
Manchmal empfehlen die Fachkräfte einen Klinikaufenthalt oder Medikamente. Wir verstehen, dass euch das erschreckt und ihr es als erstes von euch weist. Achtet darauf, ob dies auch beim betroffenen Menschen der Fall ist. Wenn nämlich nicht, so kann eure Reaktion die Hoffnung zunichtemachen. Psychisch erkrankt bedeutet nicht unmündig oder unfähig, Entscheidungen zu treffen.
Es ist wahr, dass viel zu oft Psychopharmaka eingesetzt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nutzlos sind. Wenn ein Mensch keine Kraft mehr aktivieren kann und nur noch leidet, kann ein gut eingestelltes Medikament ihm die innere Ruhe verschaffen, um seine Kraft wieder zu finden. Am Tiefpunkt angelangt ist nur Leere und Erschöpfung, doch sobald dieser durch ein Medikament überwunden ist, beginnt die Heilung zu wirken und es kann ausgeschlichen werden.
In einer guten (!) Klinik wird auf vielen Ebenen einerseits Kreativität (Lebensfreude) und andererseits Therapie (erlangen der inneren Kraft) angeboten. Dass alle alltäglichen äusseren Umstände und Menschen ausgespart sind, ist hilfreich für den Prozess. Nicht nur der Erkrankte, sondern auch ihr Nahestehenden könnt Kraft schöpfen. Nach dem Klinikaufenthalt braucht es wiederum eure Liebe – aber sie fällt auf eigenmächtigeren und damit fruchtbareren Boden.
Zum Abschluss möchten wir euch noch inspirieren, über folgende zwei Beispiele nachzudenken:
Euer Partner ist von der Arbeit völlig ausgebrannt, kann seine Gedanken nicht mehr abstellen und schlaflose Nächte machen ihm seit Monaten zu schaffen. Entspannungsübungen helfen nicht, kündigen ist unmöglich. Vom Psychologen werden ihm Schlafmittel verschrieben, um wieder zu Kräften zu kommen, denn ohne Schlaf wird die Konzentration immer schwieriger. Es wird ein bisschen besser, aber nicht wirklich gut und immer unerträglicher. Euer Partner lässt sich in eine Burnout-Klinik einweisen.
Eure Partnerin hat eine schmerzvolle chronische Erkrankung und kann sich kaum bewegen. Sie versucht es mit alternativen Heilmitteln und Physiotherapie, doch nichts nützt. Der Arzt verschreibt starke Schmerzmittel, aber die Wirkung nutzt sich ab und die Nebenwirkungen sind massiv. Sie lässt sich einen Aufenthalt in einer Schmerzklinik verschreiben, um zu lernen, mit dem Schmerz umzugehen.
Die meisten von euch werden die Erzählung in den Beispielen nachvollziehen können und für richtig und heilsam beschreiben. Die meisten von euch werden die Erkrankung des Partners und der Partnerin ohne Scham im Freundeskreis erzählen und werden grösstenteils Zustimmung und Lob erhalten.
Nicht jedoch bei psychischen Erkrankungen. Sie werden noch immer anders behandelt und verschwiegen. Dadurch wird das Leiden vergrössert. Das Problem sind nicht die Medikamente oder der notwendige Klinikaufenthalt, sondern die Gesellschaft – und damit auch eure eigene Haltung dazu.
Denn, wie ausgeführt: Ob mental, körperlich oder physisch erkrankt, der Schmerz ist derselbe. Jede der Ebenen ist gleichwertig und jede der Ebenen braucht Heilung für ein glücklich-erfülltes Erdenleben. Die bewusste Akzeptanz, dass die Erkrankung durch professionelle Hilfe gelöst werden muss, ist von Betroffenen wie Angehörigen mutig, weise und voller Liebe.
Ob dies in eine Burnout-, Schmerz- oder psychiatrische Klinik mündet, ist unerheblich.
Oder sollte unerheblich werden.
Kommentare
Kommentar von Majù |
Das sind wunderbar klärende Worte...und so präzis auf den Punkt gebracht
herzlichen Dank
Kommentar von Patricia |
Liebe Astrid, welch klärenden Worte und wunderbar umschriebene Erläuterungen…
Herzlichen Dank!
Einen Kommentar schreiben